Eine Biographie

Elisabeth Hudtwalcker, geb. Moller, gestorben den 22. November 1804

Hudtwalcker Shield

Von ihrem Mann Johann Michael Hudtwalcker, geb. Hamburg 21. September 1747, gestorben ebd. 14. Dezember 1818

Kaufmann zu Hamburg, 1788 – 1814 Senator der Freien und Hansestadt Hamburg.

Vermählt ebd. 21. Juni 1775 mit Elisabeth Moller.

Was im weiten Gebiet der Schöpfung

dem Untergang trotzet;

Was im Laufe der Zeit in’s Unermessliches

fasst,

Das ist die ewige Seele des Wissens, das

Wesen der Künste,

Wenn auch der Denker entschlief, -wenn auch

der Bildner entschwand.

Könnte ich den wenigen Lesern, denen diese Biographie gewidmet ist, das Bild der Frau, die ihr Gegenstand ist, nur halb so darstellen, wie es meiner Seele gegenwärtig ist, und immer sein wird, so würde es länger bedürfen. Doch auch wenn ich es könnte, so würde sie doch für mich Bedürfnis sein. Nach dem ersten Eindruck des Schmerzes bei einem grossen Verluste ist es so natürlich zu sagen, was man verloren hat und das thränende Auge erquickt sic him Anblick miteinander.

Die Beschreibung würde des Gegenstandes unwürdig, wenn sie nicht mit Strenge wahr und sie würde auch wahr seyn, wenn sie nicht so einfach wäre, wie es zugleich der Wahrheit und der sanften Klage geziemt. Man tadle mich nicht, wenn mein erster Zweck ist durch das Mitgefühl meines Schmerzes, das ich bei anderen zu erwecken suche, mich selbst zu trösten, und der genügte, das Andenken an meine Geliebte etwas länger zu erhalten, als bis das Grabgeläute verhallt ist.

Elisabeth Moller wurde den 6. Julius 175 geboren und war die jüngste von drei Kindern. Ihr vater starb kurze Zeit nach ihrer Geburt in seinem 31. Jahre an der Schwindsucht und ihre Mutter, die eine vortreffliche und für ihr Zeitalter sehr gebildete Frau war, übernahm die Erziehung ihrer beyden Töchter und ihres Sohnes.

Sie unterzog sich lieber mancher Entbehrung, als etwas für den Unterricht zu sparen, den sie ihren Kindern in den lebenden Sprachen und in Musik zukommen liess. – Betchen – man vergebe, wie man mir den noch vieles zu vergeben haben wird, dass ich sie so nenne-hatte die Gabe von Himmel empfangen, die wir Armen uns einander nicht geben können, die in allen Zeitaltern und bei allen Nationen dafür erkannt wird, die das Räthsel und die Auflösung aller Erziehungsmethoden ist. Genug – Betchen lernte Stellen aus Racine und Boileau auswendig, wie man glaubte, sie lerne nu res Französisch lessen; sie lernte Latein, weil sie bei den Unterrichtstunden ihres Bruders im Zimmer gegenwärtig war und strickte; sie zeichnete, weil sie auch sein Lehrer im Zeichen hatte, die Figuren von dem blauen Kachelofen ab, die bekanntlich feine schöne Modelle lieferten. Das Kind reifte zum Mädchen und wie ich sie kennen lernte, war sie in jeder Rücksicht gebildet. Sie war vielleicht nur mir schön, aber sie war mit der Anmuth ge schmückt, die die Alten unter dem Bilde einer Göttin darstellen zu können, verzweifelten, und die sie – ach wie viele meiner Freunde und Freundinnen können dies bezeugen! – auch im Tode nicht verlassen hatte.

Ich ging auf Reisen und ihr Bild begleitete mich. Bei meiner Zurückkunft fan dich sie mehr in der sogenannten grossen Welt; sie tanzte mit grossen Vollkommenheit den nun ganz verdrängten Tanz, obgleich er fast unter allen am moisten pantomimisches Drama ist, die Menuet, und sprach Französisch und Englisch mit grosser Geläufigkeit. Sie war mit meinen Schwestern bekannt; sie ward es auch mit mir; aber ich wünschte mich ihr zu nähern, und ihr zu zeigen, dass es Jemanden gäbe, der sie schon genauer kenne, als viele andere. Ich wählte dazu das sonderbare Mittel einen in ihrer Seele geschriebenen Brief in die Address-Comtoir Nachrichten nieder zu lassen und sie fühlte sich geschildert, aber sie kannte den Schilderer nicht.1 Sie war darum nicht zu verkennen und meine Freunde errhieten mich ohne mich zu verrhaten. – Sie hatte in der Kunst schon grosse Fortschritte gemacht.

Sturz, dessen Bekanntschaft sie bei seiner Zurückreise mit dem König von Dänemark machte, hatte als Freund vom Hause ihr Unterricht im Pastellmalen und der Maler Matthes, zwar einige Monate nur, in der Oelmalerei gegeben. Ihre Lage bei ihrer Mutter es ihr aber notwendig gemacht, sich auf Miniatur zu beschränken. Sie hatte mit grosser Anstrengung ihrer Augen englische Kupferstiche auf Pergament in Miniatur copier, die ich noch als schätzbare Denmkale ihrer Kunst besitze, und Lucretia auf Elfenbein aus dieser Zeit wird nich von Kennern bewundert.

Ja, sie hatte sich schon zu Portraits verstiegen, und die Bilder ihrer Tanten, Onkels und Nichten, die ihr sitzen wollten, zwar noch mit schwacher Hand, in Miniatur gemahlt und sehr glücklich getroffen.

In die Epoche dieser Zeit fällt die traurige Geschichte ihres Jahrelang gedauerten Zahnwehs, das natürlich durch die Arbeit der Nerven, ihre Kopfes und ihrer Augen verursacht wurde, ihr Mädchen-Alter traurig machte, und ihr nicht ein kränkliches doch äusserst delicates Aussehen gab.

So war das Mädchen, als ich ihr schrieb und mich ihr darbrachte. Dieser Brief, der mich schildert und nicht sie, gehört nicht hierher.

Hätte sie meine Biographie geschrieben, sie würde ihn dann aufgenommen haben. Er war mit allem Feuer der ersten Liebe, aber an der Grenze des männlichen Alters im 28. Jahre geschrieben; er ward verstanden und empfunden und das Herz des Mädchens ward mein. Mein Vater, der weiterhin einer ihrer vertrautesten Freunde wurde, wie er es mir Glücklichem siet meinem Knabenalter war, war sehr gerührt, dass meine Geliebte gerade Elisabeth Moller, wie seine erste, eine Schwester von Klopstocks Meta, hiess und hatte keinen anderen Einwurf gegen diese Verbindung als die …. Schwächlichkeit des Mädchen.

Ihre Mutter, die mich kennen gelernt, ihren Mann so früh verloren hatte, und aus meinem schwächlichen Aussehen ihrer Tochter ein ähnliches Schicksal mir sagte, hatte gerade dieselbe Besorgnis, die bei ihr auch das einzige Hindernis ihrer Einwilligung war.

Nun waren die armen Liebenden verlegen, aber Liebe ist erfinderisch und kühn. Wir hatten beyde glücklicher Weisse von Jugend auf einen Arzt, der mich mehr wie einmal dem Tode entrissen, der ihr fast zuerst in Hamburg die Blattern eingeimpft und eine genaue Bekanntschaft ihrer Konstitution erlangt hatte.2 Wir provocierten beyde auf seinen Ausspruch; er fiel sehr günstig aus, und der geschlossenen Bund wurde von unseren Eltern mit Freudenthränen sanctionirt.

Freude macht gesund und wir waren nun im Besitz des grössten Glück der Erde.

Wir strebten nicht sehr, wie es anfängt Sitte zu warden, die Zeit bis unserer ehelichen Verbindung zu verkürzen; wir hatten von der Nachtigall gelernt, dass die schönsten Gesänge aufhören, wenn das Nest gebaut ist; wir trugen sinnig und langsam die Halme dazu zusammen und es gingen beynahe vier Monate darüber hin. Betchen machte mein Bild in Miniatur, aber es gerieth ihr unter allen am wenigsten. Wenn die Liebe die erste Malerin war, so war sie es doch nur wie der schöne Mythos lehrt, durch eine leichte Zeichnung des Schattenrisses im Sande: wo ist die Liebende, die den Geliebten malen, wo der Geliebte, der ihr sitzen kann? Die glücklichen Tage fielen in die Zeit des Frühlings, und nun strömte ihr Gefühl für die Schönheit mir zu. Ich veranstaltete meinen und ihren Freunden und Freundinnen einen Ball, wo Betchen “ihren letzten Mädchentanz” tanzte, und dem mein Freund Ebeling durch ein Gedicht obgleich:

Von Deinem schönen Arm umschlungen

Und ungeküsst und ungeliebt gesungen.

Verherrlichte, woraus ich nur die schöne Weissagung anführe:

Vielerlei

Freuden, Ihrer Herzen würdig, steigen nieder

Von dem Geber alles Guten, kommen, kommen, wieder

Oft sie zu beseligen.

An dem Hochzeitstage meines Vaters vollzogen wir unseren Bund und unserer, ihr, ach auch! vorangegangener Freund Sieveking liess unsere Epos an dem Tage fliehen:

Und dann trenne nicht der Tod die beiden,

Die Du für einander schufst!

Sich umarmen lass sie, wenn zu höhern Freuden

Du Allgütiger, zugleich sie rufst.

Er wird ihr nur schon erklärt haben, warum dieses Flehen nicht erhört worden; ich muss mit Ergebung den Aufschluss erwarten.

Nun hatten wir Vater und Mutter verlassen und mir fällt die die Feder aus der Hand. Reist gut, denn wie können Worte ausdrücken, wofür jeder Srache zu arm ist. Wenn Seelenmischung eine Grille wäre, so wären wir hier und dort unserer erhabensten Freuden beraubt. Genug: lasst mich zur Künstlerin zurückkehren.

Was konnte ich, da sie nun ganz mein, da sie noch nicht Mutter war, angelegentlicheres haben, als ihre Kenntnis in der Kunst zu vermehren und ihre Neigung dazu zu oeffriedigen. Mit welcher Regsamkeit wühlte sie in dem, was ich dahin gehörig auf meinen Reisen gesammelt hatte, und sie kam anstatt der Entbehrungen ihrer vorigen Lage in diesem Punkt in eine Art von Überfluss. Sie war viele Stunden des Tage, da mein Komtoir in meinem väterlichen Hause war, allein, die sie der Ausbildung der Kunst widmete, und in denen so wir zusammen waren, lasen wir Winkelmann, Lessing, Sulzer und Mengs. P….., der derzeit hier und lange Hausgenosse und (?) Beamter gewesen war, Kuntz der jetzt in Neapel, Rachette (?), der in Petersburg gewesen lebt, besuchten uns oft, und es eröffnete sich nun der Künstlerin eine Aussicht ihrer Kunst, die sie mit ihrem kleinen Miniaturpinsel in der Hand kaum geahndet hatte. Ich suchte ihr diesen zu entwinden und die Kreide zu geben und sie folgte mir gern. Die ersten Bände von Lavaters “Physiognomik” kamen in dieser Zeit heraus und verschafften ihr selige Stunden. Es sind ein paar Tafeln mit ganz kleinen Köpfen darin, die sie in natürlicher Grösse mit Röthel nachzeichnete, die auch in dieser Vergrösserung physiognomisch ähnlich bliebeb und Beweise ihrer grösseren Fortschreitung waren. Ich hatte in dieser Zeit eine von einem Engländer in Italien zusammengebrachte Sammlung von Gemählen zu studiren und den Auftrag, da sie der Jahreszeit wegen nicht weiter versandt werden konnten, sie den Winterüber nicht in den Kisten zu lasten. Sie wurden in unserem Zimmer täglich aufgehängt und die Kunstlerin schwelgte in diesen

Genüssen. Sie fing nun an, einige von diesen Stücken in Pastell zu kopiren, in welcher Manir sie es nun, besonders durch fleissiges Copieren der Stücke von dem Lübecker Stein, weit gebracht hatte. Aber sie ging nun weiter und zur Ölmalerei über. Zum Portrait in Öl verstieg sie sich noch nicht, aber sie kopierte das Bild einer ihre Freundinnen nach Juel und eines einer anderen nach Graff, die Beyde ein willkommenes Geschenck von ihrer Hand waren. Was sie aber meht als alles dieses vervollkomnete war das Zeichen nach der Natur, das sie nun anfing und das sie bis an ihren Tod fortsetzte.

Ihr Zeichenbuch war beständig in ihrem Arbeitsbeutel und da sie es ungern Jemanden zumuthen mochte, ihr zu sitzen, so wählte sie gern in Gesellschaften oder auf Landparthien den Augenblick, wo man sich zum Spiel oder zum Ausruhn gesetzt hatte um Gesicht, Hände oder Stellungen zu zeichnen, obgleich sie den grössten Theil dieser Studien, die sie so selten befriedigten, wieder verwischte. Portraits waren ihre liebste Arbeit und noch während der ersten Hälfte ihrer nun eingetretenen Schwangerschaft mahlte sie meinen Vater in Miniatur zu einem Dosenstück für meine Mutter und zeichnete meine Eltern und alle meine Schwestern und Brüder gross auf Blau Papier mit schwarzer und weisser Kreide, welche Manier halb Patellmahlerei halb Zeichnung ihr sehr angenehm war, und diese Sammlung ward meinem Bruder nach Livorno geschickt.

Nun aber verging ihr der Muth, oder vielmehr sie erhielt Muth zu einem höheren Berufe, sie fühlte sich davon wie begeistert. – “Mutter war sie mehr als Künstlerin, sie gab den Lohn, den man in Erz ihr gäbe, für eines Kindes Lächeln hin.”3

Sie fing nun an Rousseau und Basedow zu studieren und wollte kein Kind gebären, ohne vorher über die Erziehung desselben nachgedacht zu haben. Dabei beschäftigte sie sich mit den Bedürfnissen des zu erwartenden kleinen Ankömmlings und nähte alles, was er gebrauchte mit ihrer eigenen Hand. Sie hatte es darin zu grosser Fertigkeit gebracht und überhaupt eine grosse Anstelligkeit der Hände in allen mechanischen Arbeiten, wobei ihr dann ihr richtiges scharfes Augenmass und bei Putzsachen ihr gebildeter Geschmack vortreffliche Dienste leistete.

Der gefürchtete Augenblick kam und nach einer schweren Entbindung, wobei ihr Muth sie nie verliess, war ihre Erstgeburt ein liebes, gesundes Mädchen.

Die trunkene (?) Freude, worin sie mich sah, erhöhte die ihrige, und nun war unser Band noch fester geschlungen.

Sie befand sich nach dem Zeugnis des Arztes so gut, dass sie die süsse heilige Pflicht, ihrem Kinde selbst die Brust zu geben, erfüllen konnte, obgleich ich mich nun überzeugt hatte, dass es für Mutter und Kind wohltätiger gewesen wäre, es zu unterlassen.

Welch eine Quelle von neuen Freuden strömte ihr nun zu, da sie die stärkste Leidenschaft aller guten Frauen, Mutterliebe, befriedigen konnte, und mit welchem freudigen Stolz konnte sie auf das an ihrer Brust liegende Kind sehen. – Sie hatte so oft und so gern Madonnen gezeichnet; sie war mir nun eine geworden. Das Mädchen war gesund und sie schenkte mir noch eine, das wie es uns schon kennen und zulächeln konnte, in dem 11. Monate uns an dem Zahnen entrissen wurde. Dieser Tod schlug sie sehr nieder und ihr Mutterherz ward zerrissen. In demselben Jahr verlor sie auch ihre theure Mutter und ihr Tochterherz ward es ebenfalls. Sie weinte und trug mit stiller Ergebung diese Leiden, aber eine Pause in ihrer Kunst war eine natürliche Folge dieser Unfälle und der Nothwendigkeit zweimal ein anderes haus zu beziehen. Ihr Geist erlag nicht, und ihr zarter Körper blieb gesund und sie gebar in den folgenden Jahren drei Söhne.

Wir entschlossen uns zur Inokulation der Blattern, wie wir eine Tochter und einen Sohn hatten und ich komme auf die traurigste Zeit ihres Lebens.

Unsere Tochter ward in dieser ihr gegebenen Krankheit so schlecht, dass sie 3 Wochen blind lag, dem Tode nahe war und ihre Augen und Konstitution geschwächt wurden. Ach, wenn ich die Mutter darstellen könnte, wie sie in dieser Zeit mit Hintenansetzung ihrer Gesundheit dem Kinde alles war und alles seyn wollte, und wie es ihrer sorgsamen Pflege endlich die Genesung dankte. Doch zeigte sie sich nicht nur in dieser Krankheit so, in den vielen folgenden der übrigen Kinder, war sie nicht anders. Sie wusste es und behauptete es oft, dass die Erfüllung der Mutterpflicht einen höheren Lohn hat, als Glanz, mit dem sich glänzende Thaten begnügen müssen.

Mein Vater ging zur anderen Welt über, und war der heissen Thränen werth, die sie ihm nachweinte. – Es herrschte zwischen ihren beyden Seelen, trotz der Verschiedenheit des Alters und der Erziehung eine Sympathie, die nur durch Gleichhartigkeit der Geister gegründet werden kann.

Ich hatte nun ein grosses Haus gekauft und bezogen und unsers kleine Wirthschaft sich in einen weitläufigen Hausstand verändert, dessen Verwaltung, nebst der Erziehung und Pflege von 5 Kindern ihr oblag, da ich auch mit Geschäft überladen und gerade in dem Alter war, wo unser Staat von seinem Bürger mit Recht Pflichten fordert, deren Erfüllung er ihm zur Ehre gemacht hat. Sie ging an die ihrige mit der bescheidenen Furchtsamkeit, die bey all unseren Werken von jeher eine Begleiterin der Selbsterkenntnis ist und eben dadurch ihr Gelingen sichert.

Sie konnte sich nicht in die ungewohnten grösseren Ausgaben finden und ihr Hang zur Oekonomie fand so wenig Befriedigung, dieser Hang, der fast allgemein den besten Personen ihres Geschlechtes eigen ist und eine Folge der Ausschliessung desselben von dem eigentlichen Erwerb ist, ist nichts weniger als Anlage zum Geitz. Er ist der hohe Geist der Ordnung, den schon die älteren Nationen bey ihren Frauen und Matronen für ehrwürdig hielten und obgleich die Erfüllung der Pflichten einer guten Hausmutter, weder so süss noch so belohnend, als die der Frau und Mutter ist, so wird sie doch schon durch die Verbindung mit dieser geheiligt; auch ist sie an sich so natürlich als schön. Warum sollte die Frau nicht gern für die Anordnung des Tisches sorgen, der ja für ihre Kinder und ihre Freunde gedeckt wird, nicht gern für die Kleidung und Wäsche ihrer Kinder, denen sie dadurch Freude macht. Auch hatte sie bald eine Organisation bewirkt, die nur ihrer Übersicht bedurfte, und nun konnte sie schon wieder ihrer Kunst huldigen, obgleich mit Unterbrechungen, die dem Künstlersinn peinlich sind; Vieles von allem, was sie tat und war, dankte sie der frühen Gewohnheit, die Morgenstunden zu nutzen.

Chodowiecki, der damals hier war, besuchte uns oft, Lob von solchen Künstlern war ihr ein Sporn und sie lernte viel von ihnen. Er verschaffte un seine Samlung aller seiner Werke, wovon er nacher jährlich die Erndte des verflossenen Jahres hatte, und diese, die ganz vollståändig ist, war ihr Studium und Erholung. Wir mietheten, fast anfangs nur für die kleinen Kinder, einen kleinen Garten an dem Deichtor und hier bey der freyen grossen Aussicht, die er gewährte, erwachte ihr die Lust auch zur Landschaftsmalerei.

Wir fanden den Fleck so schön, dass wir uns dort ausbreiten konnten und nun ging sie mit Ahrens, der diese Schülerin so gerne lehrte, zur schönen Gartenkunst über und es steht auf der Stelle kein Baum, den sie nicht nach seinem Rathe gepflanzt hätte. Hier brachte sie mit ihrem Häuflein gesunder fröhlicher Kinder glückliche Sommer hin. Sie ward nun schon mit Beihülfe des verdienten Morge (?) die Lehrerin ihrer Kinder im Zeichnen und diese mussten ihr dafür zu lebendigen Modellen dienen. Ihre drey kräftigen Buben waren ihre Akademie und wie oft war ich Zeuge des schönen Anblicks, wenn die Kinder um den Tisch geordnet waren nach einem Gypskopf zu zeichnen, dass sie während der Zeit die Gruppe oder Lebendigen Köpfe darstellte. Sie zog zwar immer die menschliche Gestalt vor, aber wie manche Kuh oder Ziege suchte sie nicht auch zu zeichnen! Sie zeichnete zwar lieber den alten Baum und den schönen Baumschlag; aber auch die Blumen ihres Gartens entgingen ihr nicht die sie erstlich mit Wasserfarben nach der Anleitung von Madame Mathes mahlte, theils in Pastell und theils blos mit Bleistinstift zeichnete.  Sie schränkte sich dabei nicht auf Blume nein, sondern bei ihrem Gefühl für die schöne Verschiedenheit der Baumblätter, suchte sie auch diese darzustellen. Bei der zunehmenden Zahl unserer Kinder, die nun noch mit 3 Töchtern und einem Sohn vermehrt wurde, war der Wunsch natåurlich Ihr in der Unterhaltung mit demselben einige Erleichterung zu verschaffen. Ich trug nach ihrem Rathe, da sie von der Wirkung der Schönheit auf Kinden so fest überzeugt war, Chodowiecki auf, un seine Gesellschafterin der Kinder zu verschaffen und seine Wahl war sehr glücklich. Wir erhielten Charlotte Calve aus seiner Hand, deren Namen ich hier so gerne mit Dankbarkeit nenne, da sie während der 5 Jahre, die sie in unserem Hause zubrachte, nicht blos Gesellschafterin, sondern Freundin meiner Frau war. Sie hatte Freude an ihrer Jugend und Schönheit und zeichnete sie oft in sehr verschiedener Manier.

Meine Wahl zum Rath, obgleich sie ihr so unerwartet als mir war, machte keinen Eindruck aus Sie und Sie lachte herzlich, dass ich darüber erschüttert war. Sie war auf ihren inneren Werth zu stolz um nicht sehr gleichgültig gegen Titel und dergleychen zu seyn und diese Veränderung meiner Lage machte in der ihrigen und in ihrer Art zu leben und zu handeln auch nicht die Mindeste, obgleich sie sonst von der Achtung, die mir meine Mittbürger bewiesen und beweisen tief gerührt war. Bald heirauf ward sie von einem schweren Inflammationsfieber befallen, wobei ihr Leben in grosser Gefahr war. Sie überstand es glücklich, überstand dasselbe vor 8 Jahren zum zweitenmal und musste nun zum drittenmal in derselben Krankheit ihren Tod finden. Mit hohem Entzücken fühlte sie die Freude der Genesung und alle ihre heitere Thätigkeit kehrte sobald wieder zurück, dass wir im Sommer darauf mit den ältesten Kindern eine Reise durch Holstein machten. Es war die erste Exkursion von einigem Belang, die sie aus ihrer Vaterstadt machte und ihre Freude war intensive grosser, ihr Genuss wahrer und inniger, als sie manchem anderen auf der sogenannten grand tour beschieden worden. Sie verstand die Schönheiten dieses schönen Ländchens zu schätzen, das mir die Bilder meiner Jugend aus Yorkshire wiederholte; sie sah mit sanfter Rührung die herrlichen Landseen und mit erhabener die Ostsee und Jahrelang nachher konnte sie uns Gegenden beschriben, und zeichend entwerferen, die fast in unserem Gedächtnisse verwischt waren. So wohltätig einwirkend als ihre Kunst auf Ihr Gefühl für Natur war, musste man oft glauben, sie betrachtete jene nur al sein Vehikel um zum höheren Genuss dieser zu gelangen.

Unser beyden jungsten Töchter wurden uns durch den Tod entrissen, die eine 8 Wochen nach ihrer Geburt, deren Verlust sie mit grosser Standhaftigkeit ertrug, die andere im 11. Monat wieder an dem Zahnen. Mit bitterem Schmerz trennte sie sich von diesem Kinde, das sie noch im Sarge zeichnete. Ehe er zugedeckt werden sollte, rief sie mich allein zu sich und hielt ein Federmesser in ihrer zitternden Hand. Sie hatte immer grosse Furcht für lebendig begraben werden gehabt. “Ob ich nicht einen Schnitt zu ihrer Beruhigung am Halse des Kindes erlauben wolle.” Noch sehe ich ihn vollführen mit aller der mütterlichen Bänglichkeit und mit hinströhmenden Thränen; Ihr, die Ihr bei diesen und ähnlichen kleinen Zügen lacht, ohne die es keine wahre Biographie gibt, für Euch ist sie nicht geschrieben; sie ist Euch nur in die Hände gerathen.

Ich konnte nun die Einrichtung treffen, einen langgehegten Wunsch zu erfüllen, Ihr mehr Kunstwerke zu zeigen, als sie in Hamburg sehen konnte, und wir machten Gesellschaft unserer beyden ältesten Kinder eine Reise über Berlin nach Leipzig, Dresden und Freiberg und kehrten über Braunschweig und Wolfenbüttel zurück. Ich zeigte mich keinem von menen Handlungsfreunden, da wir mit der Zeit von 6 Wochen, die ich nur abwesend seyn konnte, sehr haushälterisch umgehen mussten, und ich zählte diese Zeit zu einer der glücklichsten meines Lebens, da ich Sie während derselben so glücklich und fröhlich machte. Zwar war ihre Gesundheit schon sehr geschwächt; körperliche Anstrengung brachten sie während derselben nie, aber zu lange Anschauen von Gemälden sehr oft zur Ohnmacht.

In Berlin sahen wir unsere Freundin Calve wieder und einer unserer ersten Besuche war bei Chodowiecki. Mit welcher gefälligen Gastfreundschaft nahm der Mann uns auf! Er übergab Ihr gleich alle seine Portefeuilles und sie durchwühlte mit sichtbarer Freude alle diese Schätze. Wie viel hatte sie zu fragen, und wie viel lernte sie in einigen Tagen! Sie bestand darauf, dass er sich in seiner Arbeit nicht stören liesse, und sass studenlang hinter seinem Stuhl, Sie verfiel durch ihn darauf, wieder mit Silberstift zu zeichnen, welcher kleinlich ängstlichen Manier sie aber doch nicht lange true blieb.

Sie machte die Bekanntschaft mit dem Bildhauer Schadow und sie hatte sehr bald die Vertraulichkeit aller Künstler, die sie auf dieser Reise kennenlernte, gewonnen. Man fand sie zu bald in den Geheimnissen der Kunst initiirt, welches eine grössere Empfehlung als alle gelernten Phrasen darüber ist, und ihre anspruchslose Bescheidenheit, ihre sokratische Art zu fragen, machte auf den Verschlossenen zutraulich. – Schadow zeigte ihr seine vollendeten und unvollendeten Werke und seine Schüler arbeiteten in ihrer Gegenwart. Sein Monument des jungen Grafen von der Mark in der Neustädter Kirche, rührte sie am meisten.

Sie sah alle die Gemäldesammlungen und ich habe nicht dieses, sondern sie zu beschreiben. Sie hat mir ein, nur mit Bleystift geschriebenes Tagebuch hinterlassen und nur eine Stelle daraus will ich buchstäblich abschreiben: “Wörlitz war mir eine herrliche Erquickung, da ich mich matt und krank and den Palästen Berlins gesehen hatte. Was ist Kunst gegen Natur? Erstere geht sogleich nach viel mühsamer Arbeit ihrem Ruin entgegen, die letzte, nur wenig gepflegt, macht sich von Tag zu Tag herrlicher, gewährt für Gesundheit und Freude mehr und fröhlicheren Genuss und nähert uns unserem Schöpfer.”

In Dresden war sie bald wie zu hause und fast jeden Vormittag der Zeit unseres dortigen Aufenhaltes brachte sie auf der Bildergallerie zu, deren Anschauen ja auch fast der Zwekck unserer Reise war. Sie gestand oft, hier Werke der Kunst gefunden zu haben, die ihr Ideal davon übertrafen. Sie kam immer von der grossen Anstrengung, mit der sie alles sehen wollte, sehr ermattet zurück und fiel einmal in eine lange, schwere Ohnmacht, denen sie in dieser Zeit ihres Lebens überhaupt oft ausgesetzt war. Sie pflegte sie nun immer als einen höchst angenehmen Mittelzustand zwischen Wachen und Schlaf zu beschreiben und Ihre Züge waren dann durchaus denen ähnlich, die sie im Tode zeigte.

Sie machte genaue Bekanntschaft mit Grosz, Seidelmann, Zingg und Costmann (Casanone?), von dem sie in ihrem Tagebuch sagt: “Er war gegen mein bischen Kunst so aufmunternd” sprach Ihr den Muth ein, den sie auch von dieser Zeit an mehr zu zeigen anfing. Am meisten aber schloss sie sich an Zingg an, der uns auf alle unsere Ausflüge in die schönen Gegend Dresdens begleitete. Er war zeuge Ihres Entzückens darüber, den sie hatte bisher noch keine, die reizend gebirgicht gewesen wäre, gesehen und sein hohes Gefühl für Natur, das er in seinen Zeichnungen darstellt, war dem Ihrigen ganz entsprechend.

In Freyburg sah sie und die gastfreie und freundschaftliche Aufnahme des Herrn von Feynitz und seiner Familie, wovon sie gleich ein Glied zu seyn schien, behielt sie immer in dankbarem Andenken. – Gute Menschen zu finden war ihre grösste Freude und gefunden hielt sie sie fest.

In Leipzig besah sie die Gemäldesammlung, besonders die Richtersche, und machte die Bekanntschaft von Geyser, Bausz und Oeser. Der letzte besonders nahm sie wie seine Tochter auf, trennte sich mit Thränen von ihr und wünschte sie sich nur auf einige Monate zur Schülerin. Von Bausz schreibt sie in ihrem Tagebuch: “er ist nicht blos ein grosser Künstlere, er ist auch ein liebender Vater”, und von Oeser: “er ist die liebreichste alte Mann, den man sich denken kann.

In Salzdahlum sah sie noch mit grosser Wonne die Gallerie und nun ward die Sehnsucht zu ihren jungen Kindern sehr gross und wir beschleunigten die Rückreise. Sie war wie berauscht von der Freude des Wiedersehens und schliesst ihr Tagebuch: “Möge es ein Vorschmack des Wiedersehens derer, die vorangingen und nachfolgen werden, in jener Welt seyn.”

Bei unserem Aufenhalte in Berlin trafen wir auf einem Kirchhofe den Grabstein der Mahlerin Cherbusch, dessen Inschrift höchst wahrseinlich von Ramler, uns sehr rührte. Da ich nicht Weiss, ob und wo sie gedruvkt ist und sie in ihrem Tagebuch mit Dinte abgeschrieben finde, so setzte ich sie ohne weiteren Zusatz hierher:

Anna Dorothee Cherbusch geb. Lisiemsky

geb. 1722, gest. 1782

Wer Du auch seyst          

Merke auf dies Denkmal

Einer Frau

Die viel Männer übertraf.

Die wenig Männer übertrafen

In der Kunst

Den sichtbaren Ausdruck

der Menschheit

Constand (Verstand ?) abzubilden.

Die kein Mann übertraff

In männlichen Bestreben

Das unsichtbare Bild Jehova’s

In sich selber zu enthüllen

Deren letzter Athemzug

Seeliges Gefühl

Der unsterblichkeit war.

Heil Dir, wenn Du dieses Ziel erreichst.

Sie hatte die Erholung und Stärkung dieser Reise nöthig gehabt, den nach unserer Zurückkunft drängten eine böse Masernkrankheit aller Kinder und häusliche Sorgen mancher Art auf un sein. Die Kunst ward nicht vergessen, aber bei Seite geschoben. Ich musste mich der Verwaltung der Prätur unterziehen und unsere Trennungen, die bisher eine Seltenheit gewesen, wurden häufiger. In dem Jahre, wo ich des Nachts nicht aus der Stadt seyn durfte, begleitete sie mich abends mit den Kindern bis ans Thor. Es war derzeit noch keine Sperre. Ach! bey dem grossen Thor, das uns nun trennt, ist auch keine! Aber es ist auch eine grosse ewige Öffnung am Morgen!

Ein Besuch von Lavater, dem sie vor zehr Jahren Bilder geschickt, und der ihr geschrieben hatte, wer ihr sehr angenehm. Er brachte einen Vormittag bei ihr zu, Sie hatte ausser seiner Physiognomik, die sie besass, wenig von ihm gelesen, unterhielt sich mit ihm bei ihren Zeichnungen über Kunst und fand ihn darin mehr bewandert, als sie vermuthet hatte. Es folgten wieder ruhige Jahre und sie konnte sich nun, weniger gestört, ihrer Niegung zur Kunst überlassen, deren ferners Geschichte ich hier nun zusammenstellen will. Sie war nun viel weiter gekommen und der Abstand ihrer Werke des letzten Jahrzehnts ihres Lebens gegen die früheren, ist auffallend.

Sie zeichnete 6 Kinder auf einem Blatte, das in Rücksicht der Richtigkeit der Zeichnung, der Zusammenstellung der Ähnlichkeit und Schönheit eines ihrer vollendesten Werke ist. – Sie kopirte schöne Ölgemählde in Sepia und fing nun wieder an in Öl zu mahlen. Sie machte die Portraits ihrer Kinder und fing manches andere an, die sie unvollendet gelassen. Sie hatte sich einen …. selbst fabricirt; ich verschrieb ihr einen aus Paris über Rouen. Sie bestand darauf, ihn versichern zu lassen, sie hatte sehr recht, den es verungglückte richtig und ich konnte ihr nun einen zweiten kommen lassen, der ihr viel Freude machte.

Am meisten glückte ihr die Copie von Ölgemälden. Ich hatte Gelegenheit Belisar von ….. vielleicht auch einen, wie es dann geht – nach Battoni zu kaufen, den sie bis zur Täuschung, sowie viele andrere Stücke kopierte. Monier kam hierher; er malte sie und sie dankte diesem grossen Künstler, den sie sehr geschätzt, und an dessen würdige Frau sie sich innig anschloss, viel Belehrung, da er es gern sah, wenn sie während seiner Arbeit hinter seinem Stuhl sass, sich sehr über die … ihrigen ferute, und sich gerne, wenn er uns der abends besuchte, mit ihr unterhielt.

Elisabeth Hudtwalcker

Allein sie fing bald an einzusehen, dass ihre Lage und höheren Pflichten, ihr nicht erlaubten, ihrer Neigung zu folgen. Das Leben einer Frau in Hamburg, die Mutter und Hausmutter ist, und sich von der Gesellschaft, worin zu leben sie auch Beruf hat, weder trennen kann, noch darf, kontrastirt zu sehr mit dem eigentlichen Künstlerleben, und Störungen mancher Art, wenn die Pallette eben bereitet, die Pinsel eben gewaschen waren, welcher Vorkehrungen die Künstlerinnen in Musik und Poesi nicht so sehr bedürfen und also hierin glücklicher sind verantlassten, dass sie die Staffelei nicht wegwarf, sondern mit Resignation bey Seite setzte, bis auf ruhigere Zeiten, die ihr aber nicht geworden sind.

Sie hatte es indess doch so weit gebracht, dass sie ihre Kinder sich hinstellen liess und sie frey weg auf die Blätter eines Schirmes, in den Stellungen sehr änlich, in Öl mahlte, ein französischer Künstler Beaudiot, der Portraits mit schwarzer Kreide, fast mehr mahlte als zeichnete, war die Veranlassung, dass sie diese Manier, nicht als die vorzüglichste, sondern die als ihrer Lage anpassendste vorzog. In dieser machte sie dann bis noch 14 Tage von ihrem Tode die Bilder ihrer Freunde und Freundinnen, die auch noch dann, wenn man das Verdienst der Ähnlichkeit nicht mehr beurteilen kann, schöne Denkmals ihrer Kunst bleiben werden. Sie zog dazu junge Mädchen und Frauen vor, weil sie die weiblichen und unter diesen die jüngeren Gesichter für die schwereren hielt und jede Schwierigkeit ihr ein Reiz mehr war. Der Direktor Tischbein kehrte von Neapel nach Hamburg zurück und schloss die Reihe der grossen Künstler, deren persönliche Bekanntschaft sie gemacht und von denen sie gelernt hat. Er war gern bey uns, sie sah ihn gerne zeichnen und wenige Tage von ihrer letzten Krankheit entwarf er in ihrer Gegenwart skizzen, die ich noch sorgfältig nacher aufbewahrt gefunden.

Von der Kunst und der Künstlerin genug, aber noch nicht genug von ihr!

Sie lebte ein menschliches Leben und bey den Freuden, woran es reich war, war ihr auch viel Kummer beschieden. Der nagendste und der ihre Gesundheit am tiefsten erschütterte, war die lange schwere Augenkrankheit unserer ältesten Tochter, an der sie sich, sowie in allem, auch in der Kunst schon eine würdige Schülerin gebildet hatte. Es giebt Seelen, denen Mitleiden tieferen Schmerz erregt, als eigenes und sie gehörte zu diesen edlen. Die Bekümmerniss bey der ersten Entdeckung der Augenschwäche dieser geliebten Tochter, die gerade zu dem Genuss des frohen Mädchenalters aufgeblüht war, die Furcht, dass die Augen, die sie so gern mit Liebe ansah, und die Jahrelang kein Licht ertragen konnten, mit Nacht bedeck werden würden, die fehlgeschlagenen Hoffnungen so mancher Kur, wage ich nicht zu schildern, und diese Blätter werden ja auch Mütter lessen. Was sie dabey gethan und gelitten, wird da bemerkt seyn und belohnt werden, wo unsere Thaten und unsere Leiden in eine Kategorie gehören, und mit einer andere Wage als hier gewürdigt werden. Sie hatte indesz noch die Freude, diese Leiden in erträgliche übergegangen und die völlige Genesung nahe zu sehen und war mit Anstrengung ihrer eigenen Kräfte die Begleiterin ihrer Tochter auf den Spaziergängen, die ihr wegen ihrer Augen zum Bedürfniss und die beste Kur dafür geworden waren.

Die schönen ländlichen Gegenden ausser dem Dammthor und der Wunsch unserer erwachsenen Kinder vermochte uns, einen Garten in Eppendorf zu nehmen und sie unterzog sich dieser Vermehrung ihrer Mühen gern.

Indesz wurden auch ihre Freuden dadurch vermehrt, und mit demselben Enthusiasmus übernahm sie mit Ahrens die Umschaffung dieses grösseren Gartens, als vor 20 Jahren des kleineren. Sie hatte zu feines und richtiges Gefühl für die zarte Nüance im Contour des menschlichen Körpers, um es nicht glücklich auf die Landschaft anzuwenden, da alle Schönheit Einem Gesetz unterthan ist; sie war zu bekannt mit den Wirkungen von Licht und Schatten und mit den verschiedenen Baumarten um durch ihre Anordnung den grossten Effekt zu bewirken, und ihre Spaziergänge waren in dieser Hinsicht beständige Studien, wodurch aber die Zahl ihrer Freuden dabey zu einem Grad erhöht wurden, vovon so viele keinen Begriff haben. – Hierdurch und durch das Vergnügen, das ihr die Pflanzung und Besorgung des Küchen- und Blumengartens, die der Sorge, sowie letzterer fast den eigenen Händen ihrer ältesten Tochter übergeben war, vergass sie oft die Leiden und Beschwerden ihrer nun sehr geschwächten Gesundheit. Noch mehr aber suchte sie sie zu vergerne, als zu vergessen; sie klagte selten und ertrug sie mit einer Ergebung, die wahrer Heldenmuth war. Sie konnte auch bei zunehmender Schwäche ihr frühes Aufstehen nicht unterlassen, aber des Abens eilte sie erschöpft zur Ruhe.

Doch lieber noch etwas von ihrem Geiste: sie hatte ihn früh gebildet, und obgleich sie von der modischen Lesesucht entfernt, welches auch bey ihrem thätigen Leben natürlich war, so hatte sie doch viel gelesen. In der älteren Geschichte war sie durch die Studien ihrer Jugend bewandert, obschon sie gegen alle Geschichte, besonders gegen Lebens- und Reisebeschreibungen sehr ungläubig war, und Mythologie hatte sich schon durch Veranlassung ihrer Kunst inne. Unter den englischen Dichtern liebte sie Pope am meisten, und wusste aus seinen Essoyonmen die vorzüglichsten Stellen zu recitiren; – unter den deutschen Wieland, und besonders “Musarion”, Schillers “Don Carlos”, und Klopstocks “Oden” seiner früheren Zeit. Unter den Prosaikern waren Herder und Lichtenberg ihre Lieblingsschriftsteller und die Scene vor Conti in “Emilia Galotti” wusste sie auswendig.

Die ernsthaftenden Gegenstände unseres Nachdenkend: Freyheit und Unsterblichkeit waren ihr so wenig fremd, dass sie oft die Veranlassung zu unserer vertrautesten Unterhaltung waren. Sie besuchte gern die Kirche und der Gesang der Gemeinde konnte sie sehr rühren, wie sie dann keine Gelegenheit vorbei liess ihre tiefe Achtung auch für die äusseren Gebräuche der Religion zu bezeugen. – Gesellig war sie mit warmen Herzen und tolerant in den verschiedensten Gesellschaften.

Mit ihren Kinder spielte sie gern Schach. Sie war die gefälligste Wirthin und studierte darauf ihren Gästen Freude zu Machen. – In dieser Hinsicht werden mir die beyden schönen Tage unvergesslich seyn, wo wir unsere Freunde und Freundinnen in Wohldorf diesen Sommer bei uns sahen. Sie hatte in einer Gruppe von Bäumen eine Hütte errichten lassen, die von den lebendigen Bäumen getragen wurde. An einem von diesen liess ich in ihrer Seele mit trauriger Ahndung schreiben: “Früher als Säule war Baum; die Bäume sind Säulen geworden, tragen das stroherne Dach stützend und schattend zugleich, freundlicher ladet es Euch, als Marmorsäulen der Städter. Heilig der Freundschaft und Ruh, nimmer mit Golde erkauft, Mädchen und Jünglinge kommt, umtanzet in goldenen Locken, singend Gefühle der Lust, preisend das liebliche Dach; Moose decken es einst; der Glanz der Locken verschwindet, denkt der Erbauerin, sie war in Arkadien auch.”

Sie war – es ehre sie die Thräne, die auf dieses Blatt fällt, und “da uns nun ihr Leben nicht länger lehrt, so lehr uns dann ihr Tod.”

Ihre letzte Krankheit war gleich so heftig, und war mit einem so beständigen Fieber begleitet, dass ich den 7 Tagen ihrer Dauer fast garnicht mit ihr sprechen und mich ihr nicht viel zeigen durfte, da meine Gegenwart ihre Beklemmungen zu vermehren schien. – Meine Hoffnung verliess mich bis den Tag vor ihrem Tode nicht, den sie indess zu erwarten schien. – In der letzten Viertelstunde ihres Lebens, wie gerade ich und unsere 6 Kinder, deren oben gedachtes Bild an der Seite ihres Bettes hing, vor demselben standen wurde sie einmal ruhig, legte sich wie zum schlafen hin; Ihre bis zur Erhabenheit sanften Züge sagten: “Hier bin ich, und die, die Du mir gegeben hast” und sie schlief ein.-

Unter den Bildern, die von ihr gezeichnet und gemahlt sind, danke ich eines der ähnlichsten Madame Vogel, ehemalig de Boor, die gleiches Talent und Eifer für die Kunst mit ihr besitzt und deren Freundschaft zwar dadurch veranlasst aber tiefer im Herzen gegründet war.

Noch eins von ihrer und meiner Freundinnen in der mich tröstenden Elegie, die ich dem Publikum mitgetheilt habe, wird hoffentlich noch von meinen Kindeskindern mit der Empfindung gelesen werden, die die einzige Ursache und die höchste Wirkung aller wahren Poesie ist.

Das, was ich nun von ihr entworfen, ist mit zitternder Hand gezeichnet. Möge es mit der Sanftheit dargegestellt sein, die dem Urbilde entspricht. Es soll keine ausserordentliche Frau schildern, aber eine, deren Leben lehren kann, zu welch einem hohen Grad von Tugend und Freude es schon hier erhoben werden könne.

Stolz, dass sie mein war, mögen diese Blätter bezeugen, dass ich Sie zu würdigen gewusst, und wie ich Sie geliebt habe – bezeuge Sie.

Notizen

  1. Hier ist er dieser Brief. Möge er nach 30 Jahren nich einmal wieder gelesen warden. S.H.A.C. Nachrichten 11 Stück 1775.
  2. Doktor Holten
  3. Eine Stelle aus einem Gedicht, das Johann Michael Hudtwalcker seinen Kindern in der Stunde ihrer Beerdigung vorlas.

www.hudtwalcker.com 2017